Es ist auch mal fertig!

Lieber Momo

Du hast mir mal vor ein paar Jahren, während einem von mir moderierten Polit-Podium gesagt, dass du in den Stadtrat gewählt werden möchtest, weil nun junge Menschen an der Reihe seien und «alte Säcke» da nichts mehr verloren hätten. Stimmt, dachte ich damals – und nahm es als «alte Tunte» trotzdem persönlich. Nun bist du nach rund sechs Jahren soeben als JUSO-Stadtrat zurückgetreten – um Platz für jüngere Menschen zu machen.

Wenn ich in meinem Blog unter «Mohamed Abdirahim» suche, kommen 9 Posts zum Vorschein. Darin geht es etwa um Geld, das der LGBT+ Beratung gestrichen wurde und es geht vor allem um Fahnen. Du hast dich nämlich dafür eingesetzt, dass sich einmal im Jahr die Stadt Bern wenigstens für ein paar Tage mit Trans- und Regenbogenfahnen schmückt. «Flagge zeigen» ist dir und mir als queere Personen wichtig. Du hast dich als Stadtrat aber nicht nur für queere Menschen eingesetzt, sondern auch gegen willkürliche Polizeigewalt und gegen Rassismus.

Auf Facebook hast du geschrieben, es sei nach sechs Jahren «auch mal fertig». Da muss ich dir widersprechen. Als «alte Tunte» weiss ich, dass es nie «mal fertig» ist, sondern oft lange dauern kann. So hoffe ich, dass du der Politik noch lange treu bleibst – gerade, weil du kein Bilderbuchpolitiker bist. Das geht ja auch bei den «erwachsenen» Genoss*innen.

In deiner Abschiedsrede im Stadtrat hast du gesagt, du seist weder kompromissbereit noch lösungsorientiert noch pragmatisch, ambitioniert, charmant oder selbstsicher. Du würdest stattdessen als naiv, blauäugig, illusorisch, ideologisch, konfliktscheu und zu selbstkritisch wahrgenommen. «Sind diese Eigenschaften schlecht?», hast du die Anwesenden im Rathaus gefragt – und die Frage grad selbst beantwortet: «Ich denke es nicht, denn sie sind ein interessantes Gegengewicht in dieser grossen Politwelt».

In deiner Abschiedsrede warst du sehr selbstkritisch gegenüber dir selbst und hast dich gefragt, was deine Vorstösse und deine Voten effektiv gebracht hätten. «Eigentlich nix», ist deine Antwort, «ausser, dass es in einem Protokoll vermerkt ist». Du hättest mehr sagen, mehr streiten, dich mehr einbringen können und sollen, da bist du dir sicher – hättest es aber schlussendlich nicht getan. Warum nicht? Denn nur wer laut und fordernd ist, wird gehört. Glaub mir, als «alte Tunte» musste ich dies lernen. Aber ich bin ja auch «nicht so». Und wohl deshalb bewundere ich die JUSOs (heimlich).

Danke, lieber Momo, dass du mehrere nicht so sichtbare Gruppen im Stadtrat vertreten und repräsentierst hast. Und ich bin froh, dass Sofia Fisch deine Nachfolge, als vermutlich erste non-binäre Person im Berner Stadtrat, übernimmt.