Hanna

Es war am frühen Morgen in einem November als Hanna geboren wurde. Und genau in dem Moment, als Hanna die Welt mit lautem Schreien begrüsste, war am herbstlich-klaren Himmel eine Sternschnuppe zu sehen.

Als Hannas Vater sie zum ersten Mal in den Armen hielt und voller Stolz anschaute, war ihm die Zukunft dieses Kindes sofort klar: Ein Stammhalter ist geboren und wird so in etwa 25 Jahren heiraten und einen Sohn zeugen. Hannas Vater ist stolz auf seine Familie und gab dem Kind einen männlichen Namen!

Schon ein paar Monate nach der Geburt stellten die Eltern fest: Ihr Kind war besonders – besonders still, zierlich und in sich gekehrt. Hanna wird später erzählen, dass sie viel Energie aufwendete, um dem Vater zu gefallen.

Nur in ihren Träumen war Hanna sich selbst und fühlte sich als wunderschöne Prinzessin. Zwischen den Träumen bemühte sich Hanna, die Rolle, die ihr zugeordnet wurde, zu spielen und war darin Spitzenklasse. Unterdessen tuschelten die Kinder in der Schule: «SCHWUL». Das Kind mit dem männlichen Namen fand weder Freunde noch Freundinnen.

Im Frühling 2022 wurde Hanna 17 – und sagte ihren Eltern: «Ich bin HANNA!». Ihre Mutter wusste dies schon immer und sagte nichts. Und für ihren Vater brach eine Welt zusammen und überhäufte sie mit Vorwürfen. «Er» sei eine Memme und wolle sich nur vom Militärdienst drücken, dabei seien doch alle Männer in ihrer Familie mindestens Leutnant. «Er» wolle zudem doch nur von Privilegien, die heute Frauen hätten, profitieren. Schliesslich gebe es keine «Männerquote». Und überhaupt: Auch er würde sich eigentlich auch ganz gerne zur Frau «umwandeln» lassen, als «Fraugewordener» könne er nicht nur früher in Pension gehen, sondern auch von einer Witwenrente profitieren.

Es sei zudem eine absolute Zumutung, dass man auf dem Zivilstandsamt einfach mitteilen könne, dass Männer nun Frauen seien und Frauen nun Männer. Für die «Umwandlung» brauche es weder ein Gerichtsverfahren oder eine chirurgische Korrektur – und auch keine Kontrolle der «unterleiblichen Verhältnisse» – und koste nur gerade 75 Franken. Und wie oft im Leben die «Sexdefinition» hin und her gewechselt werden könne und auf welche Weise die neuen Männer und Frauen ihre Sexualität tatsächlich leben, werde auch nirgends vorgeschrieben.

Je absurder die Vorwürfe wurden, desto selbstbewusster wurde Hanna. Sie wusste, dass sie auf dem Zivilstandsamt nicht nur den Geschlechtseintrag ändern kann, sondern auch den Vornamen. Und sie wusste auch, dass sie – da älter als 16 – keine Zustimmung der Eltern dafür braucht.

Hanna ist Hanna.


Zu dieser Geschichte inspirierte mich ein Artikel mit dem Titel «Männer, werdet Frauen!» in der «Weltwoche» vom 4. November 2021. Fazit des Journalisten Urs Paul Engeler in seinem Artikel: «Der clevere Mann mutiert in die feminine Privilegienwelt», da das Geschlecht ein «Egokonstrukt und kein Bioprodukt» mehr sei. Und da die vereinfachte Änderung des Geschlechtseintrages ab 1. Januar 2022 gilt, habe ich die fiktive Geschichte kurzerhand in die Zukunft gelegt.

Wie dumm und konstruiert der «Weltwoche»-Artikel ist, zeigt auch der folgende Ausschnitt. Da schreibt Urs Paul Engeler – und meint es wohl sogar ernst: «Zunächst erscheint der Abstimmungskampf um die ‹Ehe für alle› in der Retrospektive als nachgerade absurde Geld‑, Zeit- und Energieverschwendung, kann doch ein Mann, der einen lieben Mann heiraten will, und kann eine Frau, die eine ebensolche ehelichen möchte, sich auf dem Korrespondenzweg rasch als Frau respektive als Mann ins offizielle Personenstandsregister eintragen lassen … Und die Ehe wird ohne jede öffentliche Diskussion vollzogen …»