Ich nehme ganz sicher nicht den Hut!

Ein Muss für alle queeren Berlin-Besuchende ist das Schwule Museum. Einer der Mitbegründer des Museums ist Wolfgang Theis. Nun eröffnet die letzte von ihm kuratierte Ausstellung. Das queere Onlinemagazin Siegessäule.de hat mit ihm gesprochen. Und im Interview sagte er, dass die «alten weissen Männer den Hut nehmen» sollten, weil wir damals «die Generation vor uns auch nicht beachtet» hätten und auch nicht wissen wollten, «was sie umgetrieben hat».

Grundlage für die neuste und letzte von Wolfgang Theis kuratierten Ausstellung ist der Stummfilm «Anders als die Anderen» von Richard Oswald aus dem Jahr 1919. Erstmals wurde damals die männliche Homosexualität in einem Film thematisiert. Die tragische Geschichte einer Erpressung endet mit einem flammenden Appell, den Paragrafen 175 abzuschaffen. «Anders als die Anderen» war lange Zeit nahezu vergessen und wurde 1984 mit der Ausstellung «Eldorado» zur homosexuellen Geschichte der Stadt wieder ins Bewusstsein gerückt. Die Ausstellung im Berlin Museum war dann auch die Initialzündung für die Gründung des Schwulen Museums.

Gegenüber Siegessäule.de sagte Wolfgang Theis: «Für uns Gründungsväter war dies ein schwules Museum, das ab und an lesbische Ausstellungen machte. Inzwischen hat sich das Museum in dieser Hinsicht geöffnet. Schwule Geschichte ist ja heute nicht mehr wirklich en vogue, heute ist alles queer. Wir haben damals die Generation vor uns allerdings auch nicht beachtet und wollten nicht wissen, was sie umgetrieben hat. Das ist das Vorrecht der Jugend – und deshalb müssen die alten weissen Männer auch den Hut nehmen.»

Ich lese ja immer wieder von diesen «alten weissen Männern». Mir ist klar, als weisser Mann knapp vor 60 bin ich – war ich – immer privilegiert. Und auch als cis Schwuler war ich immer irgendwie privilegiert. Doch warum soll ich deshalb jetzt den Hut nehmen?

Ich engagiere mich seit 30 Jahren aktiv für unsere Community. Anfangs war es eine schwule Community und höchstens noch ein bisschen lesbisch. Es war 1995: Bart und Stephan geloben sich vor Gott ihre Liebe und geben sich das Jawort. Mit der Zeremonie wolle er ein Zeichen der Wiedergutmachung setzen, wurde Pfarrer Klaus Bäumlin von mir in der Zeitschrift des damaligen URSUS CLUB zitiert. Vielen homosexuellen Menschen sei durch kirchliche und gesellschaftliche Ächtung grosses Leid zugefügt worden. Fast 25 Jahre später können sich die Schweizer Reformierten noch immer nicht zu einer gemeinsamen Position zur «Ehe für alle» durchringen. Kurz bevor die Abgeordneten der Kantonalkirchen in der nächsten Woche erneut über das Thema diskutieren, formierten sich konservative Pfarrpersonen und Theologen zum Widerstand gegen die «Ehe für alle». Die Frage, ob lesbische und schwule Paare heiraten dürfen, habe «Sprengkraft», schreibt das Schweizer Radio und Fernsehen auf ihrer Webseite.

Seit den Neunziger – und das ist unbestritten – ist unsere Community erfreulich bunter geworden. Endlich haben trans Menschen zu ihrem Selbstbewusstsein gefunden und auch intergeschlechtliche Menschen werden immer sichtbarer. Meine Community ist heute nicht «nur» schwul und ein bisschen lesbisch, meine Community ist heute queer. Deshalb nehme ich aber noch lange nicht den Hut – auch wenn ich weiss und schwul bin.

Unbestritten ist auch, dass sich auch die Gesellschaft jenseits unserer Community in den letzten Jahren bewegt hat. Aber noch immer ist es der gleich Typ Mensch, der gegen Gesetzesanpassungen Unterschriften sammelt und Volksabstimmungen erzwingt. Im Juni 2004 verabschiedete das Parlament das Partnerschaftsgesetz. Gegner*innen befürchteten eine Schwächung der traditionellen Familie und die Beschleunigung des Adoptivrechts für gleichgeschlechtliche Paare. EVP und EDU ergriffen das Referendum. Am 5. Juni 2005 stimmte das Volk an der Urne mit 58 Prozent Ja-Stimmen dieser «Ehe light» zu. Im Dezember 2018 beschloss das Parlament die Erweiterung der Rassismus-Strafnorm, um auch Diskriminierungen aufgrund der sexuellen Orientierung zu schützen. Diesmal ist die Meinungs- und Redefreiheit in Gefahr, der Begriff «sexuelle Orientierung» sei zu «schwammig» und die Rassismus-Strafnorm werde «missbraucht, um unliebsame politische Gegner mundtot zu machen». EDU und JSVP ergriffen das Referendum – die Abstimmung findet am 9. Februar 2020 statt. Und ich nehme ganz sicher nicht «den Hut», sondern kämpfe auch als alter weisser Mann für ein deutliches JA für unseren Schutz.

Auch wenn meine Community queer ist – und das ist gut so – darf ich meine sexuelle Orientierung weiterhin als «schwul» bezeichnen. Wie wichtig es ist, den alten schwulen Mann ernst zu nehmen, zeigte sich im September beim Kick-off der neuen Gruppe «schwul60plusminus» von hab queer bern (früher «Homosexuelle Arbeitsgruppen Bern»). Die anwesenden Männer zwischen knapp unter 60 und über 70 formulierten ihre Ängste deutlich. Dabei stand die Ausgrenzung, die Abschottung, dass allein sein im Vordergrund. Kein Grund ausgerechnet jetzt den Hut zu nehmen – im Gegenteil. Unsere Losung war als selbstbewusste Schwule immer «We are Family». Und gerade im Alter wird diese Familie noch wichtiger …

Ich bewundere die Milchjugend, die wunderbar an ihrer (und auch noch ein bisschen an meiner) Zukunft arbeitet. Ich habe das «Milchbüechli» nicht nur abonniert, sondern lese es auch mit grossem Interesse und riesigem Respekt. Aber auch dies ist kein Grund, für uns alten weissen schwulen Männer den Hut zu nehmen. Wir gehören noch nicht ins Museum!