Eine Geschichte über schmerzende Knie, die Meinungsfreiheit und die «Ehe für alle»

Gestern kurz vor dem Mittag: Ich eile über den Bahnhofplatz an der Heiliggeistkirche vorbei in Richtung Bahnhof. Wie paralysiert bleibe ich stehen und reibe mir die Augen. Links sehe ich einen Informationsstand, dahinter stehen drei Menschen – davor niemand. Gesammelt werden hier Unterschriften für das Referendum gegen die Erweiterung der Rassismus-Strafnorm mit dem Kriterium «sexuelle Orientierung». Rechts sehe ich eine blaue Theke mit der Aufschrift «Heilungsgebete». Rund um diesen Stand stehen viele junge Menschen …

Soll ich die Menschen an einem der Stände in ein Gespräch verwickeln? Ich könnte mich ja mal nach einer Methode erkundigen, die meinen schmerzenden Knien helfen könnte. Oder ich könnte erklären, warum ich zwar Meinungsfreiheit wichtig finde, aber auch der Schutz der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität. Könnte … Sollte …

Statt zu diskutieren, beschloss ich aber nach Hause zu fahren. Gegen Schmerzen in den Knien hilft immer noch «Beine hochlagern». Und auch die Argumente der Unterschriftensammler*innen kenne ich bereits: Natürlich sollen Aufrufe zu Hass und Gewalt unterbunden werden, aber mensch darf doch noch ungestraft sagen dürfen, dass wir gleichgeschlechtlich Liebenden nicht «Gott gewollt» sind …

Zu Hause mache ich mir Tee und mache es mir mit dem Laptop auf dem Sofa gemütlich. Unzählige Mails sollten längst gelesen werden und warten auf die Beantwortung. So hat mir etwa Pink Cross-Vorstandsmitglied Max Krieg einen Zeitungsartikel aus der NZZ und seine Antwort darauf geschickt. Ich lese in der NZZ: Obschon das Thema Ehe für alle eine «wahrhaft existentielle Tiefe» habe, sei die Debatte darüber der «Gefahr der politischen Vorentschiedenheit» erlegen. Der Konservative lehne die Öffnung der Ehe ab, der Progressive stimme zu. Eine «gründliche» Debatte hingegen «erörtere das Für und Wider» aber im «hier entscheidenden Zusammenhang einer Säkularisierung des Rechts». Fazit des als «Gastkommentar» gezeichneten Artikels: «Das Rechtsinstitut der Ehe ist für existenziell notwendige Zeugung von eigenen Nachkommen eingerichtet und sollte deshalb für die heterosexuelle Partnerschaft reserviert bleiben».

Während ich denke «Oh Gött*innen, lasst es Hirn regnen» öffne ich die das Dokument mit der Antwort von Max Krieg. Seine Antwort auf den Gastkommentar ist bedeutend seriöser als mein so eben gedachtes Gebet: «Diesen Ausführungen möchte ich entgegen halten, dass es heute in dieser und vielen anderen Fragen nicht mehr darum gehen kann, in der gesellschaftlichen Konstruktion die Ehe zur Zeugung von Nachkommenschaft gleich zu behandeln, sondern dass es um die generelle Gleichbehandlung der Menschen an sich geht».

Von dieser Absicht zeugen auch, schreibt Max Krieg in seinem Leserbrief weiter, «die UN-Menschenrechtscharta und die Europäische Menschenrechtskonvention». Sie bekräftigen den Willen, grundsätzlich alle Menschen mit den gleichen Rechten (und Pflichten) auszustatten und keine unterschiedlichen Behandlungen, sei es nach Rasse, Religion, geschlechtlicher Orientierung oder Geschlechtsidentität, mehr zuzulassen. «Die Rechtsentwicklung zeigt ja auch klar auf, dass Sklaverei, Leibeigentum, die Stellung der Frau in der Gesellschaft sehr positive Ergebnisse zugunsten aller Menschen bewirkt haben».