Vor 25 Jahren beschloss der Deutsche Bundestag die Streichung des Paragrafen 175

Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Lesben und Schwulen in München.

Am 10. März 1994 beschloss der Deutsche Bundestag endlich den Paragrafen 175 aus dem Strafgesetzbuch zu streichen, der während 123 Jahren in Deutschland sexuelle Handlungen unter Männern kriminalisierte.

Der 1935 verschärfte Paragraf 175 blieb in der BRD bis 1969 unverändert in der Fassung der Nazis in Kraft. Zehntausende Männer wurden im demokratischen Staat aufgrund der Gesetzgebung des Nationalsozialismus Opfer von Strafverfolgung. Endgültig aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wurde der Paragraf 1994. Auch die DDR hatte Homosexualität unter Erwachsenen bis 1968 nicht vollständig entkriminalisiert und bis 1989 galten ähnlich wie in der Bundesrepublik unterschiedliche strafrechtliche Schutzaltersgrenzen für Homo- und Heterosexualität. Erst 2017 werden die nach Paragraf 175 verurteilten Männer rehabilitiert.

In einer Medienmitteilung schreibt Axel Hochrein, Vorstandsmitglied des Lesben- und Schwulenverbandes Deutschland LSVD: «Auch nach Ende des Nationalsozialismus hat staatliche Unterdrückungspolitik Generationen um ihr Lebensglück betrogen». Der Historiker Hans-Joachim Schoeps prägte 1963 die bitteren Worte: «Für die Homosexuellen ist das Dritte Reich noch nicht zu Ende». Der LSVD fordert deshalb, dass die Geschichte der Unterdrückung und Verfolgung in der BRD und in der DDR stärker in das öffentliche Bewusstsein gerückt werden muss. 

Der letzte Anstoss, dass der demokratische Rechtsstaat das diskriminierende Sonderstrafrecht gegen Homosexualität 1994 endlich beseitigte, kam paradoxerweise aus der DDR. In unserer heutigen Gesellschaft wirkt der Gedanke einer Strafvorschrift zur Homosexualität nur noch befremdlich. Junge Menschen können es heutzutage kaum glauben, wenn man ihnen erzählt, dass Staaten Menschen ins Gefängnis steckte, nur weil sie anders liebten als die Mehrheit.

Endlich weiteres Unrecht aufarbeiten

Der LSVD fordert dazu auf, weiteres Unrecht aufzuarbeiten. Dazu gehört auch ein angemessenes Gedenken an die im Nationalsozialismus inhaftierten, gefolterten und ermordeten Lesben. Auch in der Bundesrepublik und der DDR war selbstbestimmtes lesbisches Leben jahrzehntelang unmöglich. Für Frauen war ein selbstständiges Leben ohne Ehemann nicht vorgesehen. Zudem weisen neue Forschungsergebnisse auf Fälle hin, bei denen lesbischen Müttern wegen ihrer Homosexualität das Sorgerecht für ihre Kinder entzogen wurde. Die drohende Kindeswegnahme hinderte viele Frauen daran, ihren Wunsch nach einem lesbischen Leben zu verwirklichen. 

Zur Geschichte der Unterdrückung gehören auch die Eingriffe an intergeschlechtlichen Menschen. Sie werden bis heute im Säuglings‑, Kindes- oder Jugendalter ohne die vorherige, freie und vollständig informierte Einwilligung medizinischen Zwangsbehandlungen unterzogen. Das von der Bundesregierung versprochene Verbot muss endlich kommen. Der LSVD fordert für die Betroffenen zudem Entschädigung und angemessene gesundheitliche Versorgung.

Bis das Bundesverfassungsgericht die entsprechende Bestimmung des
sogenannten «Transsexuellengesetzes» für verfassungswidrig erklärte, mussten sich transgeschlechtliche Menschen operativen Eingriffen unterziehen und sich sterilisieren lassen, um personenstandsrechtlich im empfundenen und gelebten Geschlecht Anerkennung zu finden. Auch diese vom Gesetz erzwungenen Menschenrechtsverletzungen müssen anerkannt und die Opfer entschädigt werden.