Diskriminierung und Ausgrenzung aus einer längst vergangenen Zeit?

Ein abenteuerliches Konstrukt hat da Andrea Sommer in der Basler Zeitung BaZ vom 25. Februar 2017 unter der Überschrift «Pink Lobbying» entworfen. Da ist zu lesen:

Es mutet absurd an, aber der Opferstatus ist erstrebenswert geworden. Dabei geht es nur bedingt um Anteilnahme und Aufmerksamkeit. Entscheidender sind die öffentlichen Gelder, die einem als Opfer oder noch besser als Opfergruppe zuteil werden.

«Gruppenerfahrung von Diskriminierung und Ausgrenzung», die wir Homosexuellen hierzulande in der Vergangenheit «zweifellos» machten, seien in der Zwischenzeit «Tempi passati», behauptet die BaZ im Artikel. Als Beweise dafür, dass eben diese Diskriminierung und Ausgrenzung zu «längst vergangenen Zeiten» gehöre, führt die Zeitung die rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften, schwule oder lesbische Politiker*innen, den schwulen Erziehungsdirektor des Kantons Bern und den Verein PinkCop, der sich für unsere «Anliegen unter anderem im Unterricht der Zürcher und Genfer Polizeischule engagiere», auf.

«Weil der Staat für akzeptierte Minderheiten aber kein Geld locker mache», schreibt die BaZ weiter, erhebe Pink Cross nun die Anzahl der «homo- und transphoben» Gewaltdelikte. Zitieren wir aus dem Artikel von Andrea Sommer:

Schliesslich ist es das erklärte Ziel des Dachverbandes, das Präventions- und Beratungsangebot auszubauen. «Es braucht spezialisierte Angebote, weil die Opfer etwa bei einer Anzeige wegen häuslicher Gewalt ihre sexuelle Orientierung outen müssen», sagt Baumann. Der Verband erwartet hier mehr staatliches Engagement. «Entweder indem der Bund Präventions- und Beratungsangebote direkt oder dann über Leistungsverträge finanziert.» Um an Geld zu kommen, wolle Pink Cross nun «den Opferstatus zementieren» – und bereite «den Nährboden, auf dem staatliche Zuwendungen gedeihen», vor. Dazu diene die Meldestelle «gegen homo- und transphobe Gewalt» …

Das erschreckende Fazit nach dem Start der LGBT+ Helpline nach drei Monaten: Fast jeden Tag wird in der Schweiz eine Person wegen ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität Opfer von Gewalt. Dabei geht es bei den der Meldestelle gemeldeten Fällen nicht um Bagatellen, sondern um verbale und physische Attacken: «Leute werden geschubst und angespuckt, andere müssen gar ins Spital, weil sie schwer verletzt worden sind», zitiert das Schweizer Radio und Fernsehen Bastian Baumann, den Geschäftsleiter von Pink Cross.

Es wichtig, dass die bei der LGBT+ Helpline gemeldeten Übergriffe auch bei der Polizei zur Anzeige gebracht werden. Dort werden diese aber nicht explizit als Gewaltakt gegen Homosexuelle oder Transmenschen erfasst. Das sei gesetzlich nicht vorgesehen, heisst es bei den Polizeikorps. Man behandle alle Personengruppen gleich. Doch: Was nicht erfasst wird, gibt es offiziell nicht. Und was es nicht gibt, das kümmert die Politik nicht. Dies will Nationalrätin Rosmarie Quadranti mit einem Vorstoss korrigieren, der verlangt, dass künftig in der Kriminalitätsstatistik des Bundes Gewalt gegen LGBT ausgewiesen wird.

Dieser Meinung ist grundsätzlich auch der Bundesrat – wie er in seiner Antwort auf den Vorstoss schrieb – passiert ist jedoch bisher nichts. Nationalrätin Rosmarie Quadranti will – beunruhigt durch die Zahlen der LGBT+ Helpline – in der bald beginnenden Frühlingssession nun nachhaken.

Trotzdem die BaZ keinen Skrupel, die von der LGBT+ Meldestelle gesammelten Übergriffe als «fragwürdig» zu bezeichnen. «Weil die Opfer ihre Meldungen anonym machen können, lassen sie sich nicht überprüfen», schreibt Andrea Sommer in ihrem Artikel und behauptet kühn, dass es für falsche Angaben «nicht so viel Fantasie» brauche.

Der Artikel in der Basler Zeitung bietet nicht nur den Nährboden für Trans- und Homophobie, sondern ist in einer sich immer stärker polarisierenden Welt auch gefährlich. Zudem ist er auch realitätsfremd und der Vorwurf des Abzockens von Geldern der öffentlichen Hand ist absurd.

  • Nach wie vor werden LGBT+ verfassungsmässige Grundrechte vorenthalten (Ehe für gleichgeschlechtliche Paare öffnen, Volladoption für Paare in eingetragener Partnerschaften, Selbstbestimmung von Transmenschen über ihren Körper).
  • Diskriminierungen und Gewalt bleiben straffrei – wie gerade dieser Artikel belegt. Ein Schutz vor Diskriminierung im Strafgesetz aufgrund der sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität ist dringend notwendig.